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31.10.2012

» Die Abnicker vom Amt retten zwei Platanen

Im Kleingedruckten offenbart sich ein Desaster

Mit Beschluss vom 23.10.2012 hat das EBA die fünfte Planänderung im Abschnitt 1.1 genehmigt. Diese Zentralisierung der Grundwassermanipulation wurde am 30.4.2010 vom EBA bereits durchgewunken. Weil dieser Genehmigungsbehörde aber damals sehr wohl bewusst war, dass Belange des Artenschutzes betroffen waren, und trotzdem der BUND nicht in das Änderungsverfahren eingebunden wurde, verfügte der VGH-Mannheim im Dezember 2011 einen Baustopp der fast fertig gestellten Baumaßnahmen. Nun wurde also nachträglich legitimiert, was am 30.9.2010 zu einem skandalösen Polizeieinsatz führte, und in der folgenden Nacht in der Vernichtung des ersten Teils des Mittleren Schlossgartens endete.

Mit Eisenstangen suchen die "Experten" nach Baumwurzeln der nun geschützten Platane 221. Beschädigungen und folgenden Pilzbefall nimmt man offenbar in Kauf.

Inzwischen wird aus der Zentralisierung wieder eine Dezentralisierung. Mit der siebten Planänderung, die sich gegenüber mehr als 12.000 Einsprüchen durchsetzen muss, will die Bahn zwei weitere Anlagen zur Grundwassermanipulation bauen können. Die nun (nachträglich) erteilte Genehmigung für die Wellblechhütte ist durch das Planungschaos der Projektbetreiber nahezu wertlos, denn die bereits verlegten Rohre sind zu klein dimensioniert und es müssen weitere Kilometer errichtet, weitere Brunnen gebohrt werden.

Wie auch bei der gesamten Planung der einzelnen Bauabschnitte, die alle wegen anstehender Änderungen nicht realisierbar sind, offenbart das sogenannte Grundwassermangement beispielhaft die unverantwortbare Salamitaktik der Projektbetreiber. Erst wird eine Genehmigung mit falschen Angaben erschlichen, dann wird zerstört, dann werden ein paar Fakten nachgereicht – die natürlich zwingend genehmigt werden müssen … und werden. Die Politik und die Genehmigungsbehörden lassen sich am Nasenring führen, derweil die Bahn das Geld zum Fenster rausschmeißt, solange, bis nachgedruckt werden muss. Der sogenannte Kostendeckel ist längst nicht mehr einzuhalten.

Die nun erteilte Genehmigung enthält aber auch zahlreiche Verfügungen zum Arten- und Naturschutz. Dies war durch den Baustopp des VGH-Mannheim erforderlich geworden.

Bedauerlich ist, dass es immer noch keine Planung gibt, wie den Anforderungen insgesamt Rechnung getragen werden kann. Wieder wird nur selektiv auf einen kleinen Ausschnitt geschaut, anstatt ein Gesamtkonzept festzulegen. So geht die Stümperei im Umgang mit den Naturgütern weiter. Dabei wäre es dringend erforderlich, einen Neuanfang durchzusetzen.


Baustopp faktisch aufgehoben

Im Baustopp-Urteil des VGH-Mannheim wurde auf Seite 29 festgeschrieben:

Denn jedes Planänderungsverfahren führt zwingend dazu, dass über die Zulässigkeit der zu ändernden Anlagenteile unter Zugrundelegung der aktuellen - und gegenüber den Jahren 2005/2006 möglicherweise geänderten - Sach- und Rechtslage entschieden werden muss. Die Durchführung des Verfahrens zur 5. Planänderung hatte deshalb zwangsläufig zur Folge, dass die zwischenzeitlich gewonnenen neueren Erkenntnisse zum Juchtenkäfervorkommen im mittleren Schlossgarten erstmals planungsrechtlich bewältigt werden müssen, soweit dies gerade für die Zentralisierung der Wasseraufbereitungsanlage von Bedeutung war.

Es bleibt bis heute völlig unverständlich, dass dieselbe Kammer des VGH der Rodung des Mittleren Schlossgartens grünes Licht gab, obwohl das Juchtenkäfervorkommen, nachweisbar an der illegal gefällten Platane am Biergarten, völlig falsch begutachtet wurde. Wenn doch nur einmal jemand aus seinen Fehlern lernen würde!

Der nun vorliegende aktuelle Beschluss des EBA ist eine weitere eindrucksvolle Bestätigung, dass der Gutachter WURST eine untaugliche Expertise erstellt hat. Neben dem von uns aufgedeckten Fund von Juchtenkäfern in einer am 17.2.2012 gefällten Platane, kann nun als sicher gelten, dass die beiden zunächst (wegen überwinternden Fledermäusen) verschonten Platanen ebenfalls besiedelt sind. Beide Bäume dürfen nicht mehr gefällt werden – darüber kann man sich freuen. Doch das muss Konsequenzen haben, und da hinkt das EBA mit seinem Beschluss weiterhin den Wünschen der Projektbetreiber hinterher.

Mit Eisenstangen, Spitzhacke, Schaufel und Spaten verfolgt man die Wurzeln.

 

Die massive Kritik am Gutachter WURST hat wohl dazu gezwungen, andere Biologen zur Begutachtung zu beauftragen. Leider liegen diese Ergebnisse nicht im Einzelnen vor. Das IVL (Institut für Vegetationskunde und Landschaftsökologie) fand in der Platane 575K/160B an der Zufahrt des ehemaligen ZOB eine Juchtenkäferlarve, zur Platane gegenüber dem Leitner-Steg werden die Gutachter zitiert (September 2012 – also schon reichlich spät im Jahresverlauf):

In Platane 270 wurde zumindest eine ehemalige Besiedlung nachgewiesen. Eine aktuelle Besiedlung ist nicht gesichert, jedoch ist der Baum für den Juchtenkäfer geeignet.

Diese Eignung hatte der Gutachter WURST beiden Bäumen abgesprochen. In weniger als 5 Meter Abstand zum Baum 270K/221B stehen zwei weitere, gleichaltrige Platanen, in denen Juchtenkäfer leben. Auch wir hatten im Juli 2011 einen, allerdings bereits toten, Juchtenkäfer am Stammfuß dieser Platane dokumentiert. Der Baum steht einer an dieser Stelle geplanten Baustraße im Weg.
Die Platane 575K/160B steht in unmittelbarer Nähe zur etwa gleichaltrigen Platane 552K/142B am Biergarten, bei deren Fällung Juchtenkäfer nachgewiesen wurden.

Ein deutlicher Hinweis der Besiedelung: toter Juchtenkäfer am Stamm der Platane 221 im Juli 2011

Ohne Ausnahmegenehmigungen ist S21 nicht realisierbar

Anstatt nun beide Bäume auch entsprechend vor den Bautätigkeiten zu schützen, verfällt das EBA wieder auf Ausnahmen. Für die Platane 160 gilt nun eine absolute Schutzzone im Traufbereich der Baumkrone plus 1,5 Meter. Bei der Platane 221 wird dieser Bereich auf 3 Meter Abstand vom Stamm reduziert. Zunächst wird dabei verkannt, dass der Baum eine stark eingekürzte Krone besitzt, sein Wurzelbereich jedoch deutlich größer ist. Dazu muss auch berücksichtigt werden, dass ja eine Hälfte des Wurzelraums durch die Wegedecke versiegelt ist.

Am linken Bildrand sieht man den Graben der Fernwärmeleitung und den abgetrennten Wurzelraum. Das EBA ist mit seinen Verfügungen und Auflagen mal wieder zu spät dran.

Für die provisorische Verlegung der Fernwärmeleitung wurde bereits massiv in den Wurzelbereich der Platane eingegriffen. Die Verankerung des Absperrzaunes erfolgte durch Eisenanker, die man zwischen die Starkwurzeln getrieben hat. Und nun schlägt man Eisenstangen in den Boden bzw. die Wurzeln, um deren Verlauf nachvollziehen zu können. Das sind fortwährende Schädigungen des Baumes, die seine Vitalität absehbar beeinträchtigen. Damit muss endlich Schluss sein.
 

Deutlich sieht man, wie die gestutzte Krone über alle Schutzlinien und Absperrungen hinaus ragt. Eine Baustraße muss hier verhindert werden - die Wühlerei aber auch.


Ein völliger Hohn ist in dem aktuellen Beschluss die Verfügung unter Punkt 9, dass der Baum mit einem Käferschutzzaun weiter isoliert werden soll. Diese Zäune aus Folie, sie sind ja auch gegenüber, hinter dem Bretterzaun angebracht, verhindern den notwendigen genetischen Austausch der Populationen. So ein Zaun um einen einzigen Baum wird sicher dazu führen, dass sich in Zukunft keine Käfer dort nachweisen lassen. Aber offenbar will man genau das erreichen.

Die unter Punkt 8 vorgeschriebene Einbeziehung beider Platanen in das Bodenfeuchte-Monitoring des Gutachters Bodo Siegert ("Kuraufenthalt für Bäume und Juchtenkäfer") kann als wertlos betrachtet werden. Dessen Pläne, den massiven Verlust im Grundwasserbereich durch oberflächiges Bewässern ausgleichen zu können, sind haltlos. Die Grundwasserabsenkung und die zugehörigen Schutzmaßnahmen, wie sie in der siebten Planänderung beantragt wurden, sind zudem noch lange nicht genehmigt.

Die Verfügungen des EBA sind reine Kosmetik. Es muss dringend erarbeitet werden, wie die verbliebenen Populationen dauerhaft geschützt werden können, wie man ihre Isolation aufheben kann. Die Beeinträchtigungen durch die Grundwasserabsenkung, den Baustraßenbetrieb, die Erschütterungen durch die Rammstöße, und die Infiltrationsbrunnen müssen neu erfasst und bewertet werden – aber bestimmt nicht auf Grundlage des Gutachtens von Herrn Wurst oder auf Versprechungen von Herrn Siegert. Und das muss jetzt geschehen, vor weiteren Baumaßnahmen, die sowieso nicht vollendet werden können, weil die Plangenehmigungen nicht vorliegen.


Der MSG war ein streng zu schützender Lebensraum

Insgesamt ist mit der erneuten Begutachtung deutlich geworden, dass der gesamte gerodete Bereich als Lebensraum des Juchtenkäfers einzuordnen war. Schließlich sind weitere Bäume mit erkennbaren Höhlen gerodet worden, die der Gutachter WURST für ungeeignet erklärt hat. Allein die nun festgestellten Vorkommen zwingen zu der Erkenntnis, dass hier ein flächendeckender Umweltschaden angerichtet wurde. Dabei zeigt unsere Karte nur die Aktivitätsbereiche an, welche dieser Gutachter bereit ist, anzuerkennen (max. 160 Meter, eher nur 80 Meter). Die Fachliteratur geht dagegen sogar von 500 Metern aus.

Selbst die kleineren, roten Radien zeigen, welche Bedeutung die Zerstörungen für den Lebensraum der bedrohten Tierart haben. Die gelben Flächen, also der normale Aktivitätsradius der Juchtenkäfer, decken den gesamten Mittleren Schlossgarten ab. Die grauen Radien stellen die zu fordernden Schutzbereiche um die besiedelten Bäume dar.
Zum Vergrößern als pdf hier klicken

 

Es ist daher auch vollkommen unverständlich, dass das EBA als Kompensation für die Zerstörung des Lebensraumes durch die illegalen Fällungen am 1.10.2010 lediglich vorsieht, „Pflanzung, Entwicklung und dauerhafte Sicherung von Habitatbäumen im Rosensteinpark". Was sollen die Populationen des Juchtenkäfers im Mittleren Schlossgarten von einer derart weit entfernten Kompensationsmaßnahme haben? Wie soll dadurch der entstandene Schaden ausgeglichen werden?

Für die zusätzliche Bodenversiegelung von 800m² durch das geänderte GWM muss die Bahn läppische 32.000 € bezahlen. Das EBA berücksichtigt in seinen Abwägungsentscheidungen überhaupt nicht, dass das Gesamtprojekt keine Planrechtfertigung mehr besitzt. Der Verstoß gegen das Fällverbot, ausgesprochen am 30.9.2010, bleibt ohne Sanktion, obwohl sich dieses Verbot sogar als fachlich notwendig und richtig erwiesen hat.

Hände weg vom Rosenstein

Nun stehen massive Rodungen im Rosensteinpark an. Wieder wurden die Bäume zuvor vom Herrn Wurst begutachtet, der in den anstehenden Fällungen keine Bedrohung der streng geschützten Art und ihres Lebensraumes sieht. Es grenzt an Mutwilligkeit, wenn nicht endlich eingeschritten wird und Zweitgutachten erstellt werden. Die völlig unnötige Rodung des Mittleren Schlossgartens hat einen vorher absehbaren Schaden verursacht, der bis zum heutigen Tage wirkt. Die Menschen, die dagegen protestiert haben, werden rücksichtslos vom Amtsgericht Stuttgart bestraft. Die Schreibtischtäter machen weiter, die Politiker und Aufsichtsbehörden schlafen weiter, der Umweltfrevel geht weiter. Das alles bleibt folgenlos, es wird im Zweifel hinterher abgenickt.

Jochen Schwarz
Dipl.-Ing. der Landespflege

Update 1 vom 2.11.2012

Auf vielfachen Wunsch haben wir die abgebildete Karte zur Vergrößerung als pdf hier bereit gestellt.
Denn wäre eine solche Verbreitungskarte vor den ersten Baumfällungen am 1.10.2010 bekannt gewesen, wäre das rücksichtslose und unnötige Fällen der Bäume nicht so einfach möglich gewesen - auch nicht am 15.2.2012. Ein Zweitgutachten zu den beiden Kastanien in der Wiesenmitte, sowie der Blutbuche und der Säuleneiche beim Planetarium, ist ja leider nicht mehr möglich. Die voreilige Rodung des Schlossgartens hat das unmöglich gemacht. Unser dringender Appell vom 14.2.2012, an alle Verantwortlichen als Mail versandt, wurde ignoriert.