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10.08.2012

» Der frühe Herbst

Ein Spaziergang im verteilten Schlossgarten

In der letzten Woche haben Mitarbeiter und Freunde des AK Baumpaten alle Bäume dokumentiert, die im Mittleren Schlossgarten ab dem 15.2.2012 ausgerupft und an andere Standorte im Stadtgebiet verbracht worden waren. Auch die Bäume vom Parkplatz am abgerissenen Nordflügel des Bonatz-Bahnhofs, die man am 8.2.2011 "verpflanzt" hatte, haben wir uns angeschaut.

Die vollständige Bilddokumentation ist auf schäferweltweit hinterlegt.

Die Bilder wurden auch in unsere Baumprofile übernommen. Wir möchten hier einige Beispiele herausgreifen und darstellen, wie der Zustand der Bäume derzeit zu beurteilen ist.

Ausgangslage

Zwischen den Parkbäumen und denen vom Nordflügel besteht ein großer Unterschied, der beim Betrachten der Bilder zu berücksichtigen ist. Die Bäume vom Parkplatz wurden aus Gründen der Verkehrssicherheit häufig in den Kronen beschnitten. Ihr Wurzelraum beschränkte sich meistens auf eingefasste Beetflächen. Ihr Wuchsraum ist also sehr kompakt gewesen, und kommt damit einer vorbereiteten Verpflanzung nahe. Die Bäume waren Stress durch Wassermangel und Hitzestrahlung durch den umgebenden Asphalt gewohnt.

Links die Platane am Kompostplatz auf dem Friedhof Zuffenhausen im Sommer 2012, rechts der gleiche Baum am Parkplatz des Nordflügels im Oktober 2010. Durch den transportbedingten Rückschnitt sind büschelartig Zweige ausgetrieben, die weder dem Habitus des Baumes entsprechen, noch jemals eine verkehrssichere Krone bilden können.


Die Situation der Parkbäume unterscheidet sich davon deutlich. Diese Bäume konnten Kronen und Wurzeln in einem eher natürlichen Maß entwickeln. Im Traufbereich der Krone befinden sich die Feinwurzeln zur Wasser- und Nährstoffaufnahme. Wenn dieser Traufbereich nicht "mitgenommen" werden kann, sind Kronenschnitte und Wurzelschnitte ein bis zwei Vegetationsperioden vor der Verpflanzung durchzuführen.

Rechts die andere Platane vom Nordflügel, die nach Zuffenhausen gebracht wurde. Das linke Bild zeigt eine danebenstehende, etwa gleichaltrige, vitale Platane im unbeschnittenen Zustand.


Die Projektbetreiber haben, obwohl sie von der Verpflichtung zur Verpflanzung der Bäume wussten, keine Vorbereitungen getroffen. Die Bäume mussten weg, weil angeblich mit den Bauarbeiten begonnen werden sollte.


Dass dies juristisch und faktisch nicht möglich ist, wegen der beantragten Änderungen zum Grundwassermanagement, hat die politisch verantwortliche Regierung nicht interessiert. Man hat weggeschaut, man wollte den Protest los werden – und die Bahn hat diese Chance ergriffen. Der Mittlere Schlossgarten hätte den Menschen und der Natur sicher noch zwei Vegetationsperioden zur Verfügung stehen können.

Auch bei den letztjährig nach Cannstatt verpflanzten Platanen am Wasen hat bereits herbstlicher Laubfall eingesetzt.

 

Rotblühende Rosskastanie am Bolzplatz in Stammheim. Die Krone ist relativ licht, die Blätter sind kleiner als normal. Auch fruchtet der Baum sehr stark. Rotblühende Rosskastanie auf dem Friedhof Zuffenhausen. Insgesamt scheinen die Kastanien besser mit der "Verpflanzung" klar zu kommen, als die Platanen.

Wie reagiert der Baum?

Zunächst treiben die im Vorjahr gebildeten Knospen aus, als sei nichts geschehen. Die Blätter bleiben dann allerdings im Wachstum stecken. Sie sind deutlich kleiner, als üblich. Es kommt sehr schnell zum Abwerfen der ersten Blätter, weil das Wasser nicht mehr nachgeliefert werden kann. Damit schützt sich der Baum gegen den Wassermangel, er reduziert die Transpirationsfläche. Die Krone sieht sehr viel lichter aus.

Die Hainbuche 356 steht nun an der Straße Am Tazzelwurm. Ihre Krone wurde nicht beschnitten. Es sind nur sehr wenige und kleine Blätter vorhanden. Auch die Hainbuche 149 steht, etwas zurück versetzt, am Tazzelwurm. Auch hier ist der Austrieb sehr spärlich, und bereits herbstlich verfärbt.

 

Ein Detail aus der Krone der Hainbuche 233 am Tazzelwurm in der Feuerbacher Heide zeigt die gelb-braun verfärbten und eingetrockneten Blätter.


Dadurch kommt aber auch die Photosynthese ins stocken. Viele Bäume beginnen dann, aus "schlafenden" Knospen an Starkästen oder dem Stamm auszutreiben. Besonders Lichtbaumarten wie die Eiche bilden zahlreiche solcher Wasserreiser aus. Unter dem Aspekt des Wassermangels ist das jedoch fatal.

Die Stieleiche 104 steht auf dem Friedhof Zuffenhausen. Die verstümmelte Krone zeigt zahlreiche Austriebe. Im Detail sieht man auch hier untypisch kleine Blätter mit Trockenschäden und die sich bildenden Wasserreiser.

 

Die zahlreichen Austriebe an einer Schnittstelle zeigen Trockenschäden. Die große Schnittfläche ist bereits vom Pilzbefall gezeichnet.


Vitale Bäume bilden normalerweise einen zweiten Trieb, den Johannistrieb, im Sommer aus. Das ist besonders dann der Fall, wenn z.B. durch Spätfröste oder durch Insektenfraß die Blattmasse reduziert wurde. Dieser zweite Austrieb, der bei diesen Bäumen wegen der Schäden zu erwarten gewesen wäre, ist weitgehend ausgeblieben. Besonders bei den immergrünen Eiben und den früh treibenden Hainbuchen, beides auch sehr schnittverträgliche, für Hecken geeignete Baumarten, fehlt der Johannistrieb.

Alle Eiben, ob wie hier im Tapachtal oder am Fasenhof, haben eine deutlich sichtbare braune Verfärbung. Die Kronen sehen sehr schütter aus.  Einzig die Eibe 252 zeigt im Stammbereich einen sehr kräftigen, fast moosartig dichten, Neuaustrieb. Dadurch wird der Verlust in der Krone ausgeglichen.


 

An den Zweigen der Eibe 248 sind keine neuen Austriebe. Die Eibe 241 scheint bereits abzusterben.


 

Vereinzelt sind Johannistriebe in der Krone der Eibe 240 zu finden.


Wurden die Bäume stark zurückgeschnitten, treiben an den Schnittstellen zahlreiche Zweige aus. Diese brechen jedoch häufig im Wind ab. Wurden die Schnitte nicht so durchgeführt, dass sie einem natürlichen Kronenaufbau folgen, werden Bruchschäden auch in Zukunft die Vitalität des Baumes einschränken – mal abgesehen vom besenartigen oder einem Kleiderständer ähnlichen Aussehen.

Die Krone der Platane 361 am Tazzelwurm wurde nur nach Transportgesichtspunkten geschnitten. Dies führt zu einem ungleichen Kronenaufbau, der gerade an der Straßenböschung zum Problem werden kann. Auch der Spitzahorn 396 an der Steinhaldenstraße war völlig ungeignet, mit einer Rundspatenmaschine verpflanzt zu werden. Einige der nachgetriebenen dünnen  Zweige sind bereits beim Sturm ausgebrochen.


Schlechte Schnittführungen, also unsaubere Ränder oder zu geringe Neigung, führen zu Pilzbefall und zum Einfaulen der Schnittstellen. Auch dadurch sind neu gebildete Triebe gefährdet.

Der Einfluss der Witterung

Wegen des massiven Verlustes an Wurzeln, müssen die Bäume regelmäßig und ausreichend gegossen werden. Selbst wenn es hin und wieder mal regnet. 20 - 25 Liter pro m² in einem wöchentlichen Gießgang sind da erforderlich. Damit diese Menge, die einem Starkregenereignis entspricht, nicht gleich zur Erosion führt, sind Gießrohre um die Bäume verlegt worden. Daran wird die Problematik der Standorte, der Verpflanzung in Hanglagen deutlich – das Wasser fließt zu schnell ab. In anderen Fällen bleibt es in verdichteten, staunassen Pflanzgruben zu lange stehen.

Wie wackelig die großen Bäume mit ihren zu kleinen Ballen am Hang stehen, sieht man gut am Bonatzweg in der Feuerbacher Heide. Im Hintergrund die Platane 369, im Vordergrund der Bergahorn 376. Auch der Rotblättrige Bergahorn 363 hängt unter voller Spannung hangabwärts in den Seilen. Die Bewässerung der Bäume an diesem Standort ist ein Problem.


 

Im März waren die Ballen noch nicht wegdekoriert. Man sieht hier sehr gut den Höhenunterschied und dass die Ballen hangabwärts nahezu frei stehen.


Der regenreiche Sommer des letzten Jahres, von dem sich der diesjährige nicht unterscheidet, ist hilfreich für die Bäume. Das Gießen kann dadurch nicht ersetzt werden, aber die häufige Bewölkung reduziert die Transpiration.

Stabilisierung

Leider wurden wieder viele Bäume mit Drahtseilen angebunden, wieder nur als Zweipunkt-Verankerung. Dadurch bewegen sich die Bäume zu stark im Wind und es kommt immer wieder zu Abrissen an neugebildeten Feinwurzeln. Die Drahtseile scheuern zum Teil an Ästen und sie hinterlassen Druckstellen, beinahe den Stamm umgreifend, die zu Sollbruchstellen werden.

Der ehemals 4-stämmige Spitzahorn 455 in Zuffenhausen wurde verstümmelt. Die verbliebenen zwei Stämmlinge hat man besonders abenteuerlich befestigt. Die noch junge Säuleneiche 262, hinter der Friedhofskapelle in Zuffenhausen, steht bereits windschief und die Drahtseile scheuern an den Starkästen.


 

An dieser letzjährig verpflanzten Platane in Cannstatt am Wasen sieht man deutlich, wie sich die Drahtschlingen in den Stamm einschneiden.


Besonders im Bereich der Verantwortung der Wilhelma ist ein besserer Umgang mit den Bäumen zu beobachten. Dies mag auch an dem regen Publikumsverkehr liegen. Überhaupt wurden hier die eher kleinen Bäume hingepflanzt, die eine bessere Chance haben, anzuwachen. Die im Prinzip bessere Methode, die Bäume mit einem Holzgestell zu stabilisieren, zeigt jedoch auch, dass mitunter die Pflanzgruben falsch dimensioniert bzw. die Ballen nicht ordnungsgemäß eingeschlämmt worden sind.

Die Platane 366 am Nilsee im Schlossgarten ist zwar mit einem Holzgestell befestigt worden, aber die Krone des Baumes hat an dieser Stelle keinen ausreichenden Platz. Der Trompetenbaum 410 an der Lustschlossruine zeigt eine sehr schüttere Belaubung. Er wurde zu tief eingesetzt.

 

Das Holzgestell kann den Trompetenbaum nicht mehr fixieren. Der Baum ist nach unten in das zu tiefe Loch durchgerutscht. Vermutlich wurde hier ungenügend eingeschlämmt.

Nachsorge

Den bisherigen Auskünften nach, wird man sich nur dieses erste Jahr von Seiten der Bahn um die Bäume kümmern. Wer dann den Aufwand bestellt und bezahlt, ist ungewiss. Bei den Bäumen der Wilhelma dürfte das noch gesichert sein im Rahmen der üblichen Parkpflege. An den anderen städtischen Standorten jedoch wäre zusätzlicher und nicht unerheblicher Aufwand erforderlich.

Rotblättriger Spitzahorn 109 auf dem Dornhaldenfriedhof. Kümmernde Eibe 246 in der Stadtgärtnerei Fasanenhof.


Warum überhaupt nur für ein Jahr eine Verpflichtung gelten soll, ist nicht nachvollziehbar – es sei denn, man hat das Absterben der Bäume fest einkalkuliert. Normal müssten die Kronen der Bäume nachgeschnitten werden, damit sie wieder ein der Art entsprechendes Aussehen entwickeln können.
Viele Schädigungen werden erst in einigen Jahren deutlich bemerkbar, wenn die Bäume überhaupt solange überleben. Die Beschädigungen im Wurzelraum, Fäulnis im Kronenbereich, die Auswirkungen der schlechten Pflanzgruben und Standorte – all das wird den öffentlichen Haushalten überlassen.

Nachwirkungen

Die GöG erstellte zur 5. Planänderung inzwischen eine "Spezielle artenschutzrechtliche Prüfung". Das heikle Thema der Verletzung von Artenschutzauflagen wird dreist umschifft, in dem man für die entstandenen Schäden bei der Errichtung des GWM-Gebäudes die nun verpflanzten Bäume als Ausgleichsmaßnahme wertet (Seite 56) – als ob diese Bäume in irgendeiner Form als Ersatz-Lebensraum für Vögel des Parks dienen könnten. Sollte diese Frechheit allerdings so durchgehen, muss die Bahn weiter in die Pflicht genommen werden, diese Bäume zu erhalten und ggf. zu ersetzen.

Ersatz-Birke 285 an der Straße Am Tazzelwurm - für den Bergahorn 225 ? Ersatz-Birke 285 am Tazzelwurm im hinteren Bereich - für die Hainbuche 231 ?


Und weil Doppelkompensationen besonders wirtschaftlich sind, wird die Bahn diese Bäume bzw, deren Verpflanzung sicher auch beim Schadensausgleich für die Inanspruchnahme des Mittleren Schlossgartens verrechnen.

Ersatz-Birke 285 am Bonatzweg - für den Spitzahorn 457 ? Ersatz-Birke 285 in Zuffenhausen - für den Bergahorn 387 ?


Diesen Hütchenspielertrick hat man bei der Parkrodung bereits praktiziert. Für zur Verpflanzung vorgesehene Bäume, die vom Baumgutachter Bodo Siegert falsch aufgenommen wurden, ersann man das Konzept der Ersatzbäume. Zur Fällung vorgesehen, wurden die Birkengruppen als ein Baum gerechnet (und werden so wirtschaftlich als Schaden ersetzt). Als Ersatzverpflanzung hat man dann aus den Stengeln einfach vier Bäume generiert (verrechnet damit also vier gefällte Großbäume). Selbst unsere Widerstandsbäume wurden in dieser Art zum Parkinventar, weil man andere, zur Verpflanzung vorgesehene Bäume gefällt hat.

Auch der erst im Vorjahr gepflanzte Spitzahorn, der zweite Widerstandsbaum, wird von der Bahn als Verpflanzung gerechnet; wie die ebenfalls im Fasanenhof stehende kleine Hainbuche. Drei weitere, kleine Eiben wurde im Schlossgarten verpflanzt. Von der Kategorie hätte man noch weitere ca. 40 Eiben finden können. Derartige Bäume hatten keine Nummer im Kataster der Wilhelma - jetzt sind sie Ersatz.

Ausblick

Wir werden und können keine Prognose über die Entwicklung der Bäume geben. Wer allerdings meint, die Bäume sähen doch immerhin etwas grün aus, hätten doch Blätter ... der kann sich schnell getäuscht sehen.

Austrieb am Stammstück der Kastanie 205


Die Vorraussetzungen zum Überleben der Bäume sind jedoch überwiegend gering und bezüglich des Wetters sehr vom Zufall abhängig. Unsere Dokumentationen werden allerdings helfen, die jeweiligen Zustände besser einzuschätzen und Ursachen heraus zu finden.
Vielleicht gelingt es ja durch unsere Arbeit, die Macht der sogenannten Gutachter eines Tages zu brechen. Der für die Verpflanzungen verantwortliche Bodo Siegert soll ja auch schon den nächsten Auftrag haben, und die Bäume während der Grundwasserabsenkung betreuen. Womit er sich das wohl verdient hat? Sein "Kuraufenthalt für Juchtenkäfer" sieht ja schon heute sehr erfolgversprechend aus.

Austrieb am Stammstück der Silberpappel 226


Der AK Baumpaten wird auch weiterhin zu den Schlossgartenbäumen stehen. Die frevelhafte Geschichte ist noch lange nicht zu Ende geschrieben. Der neue Schandfleck Stuttgarts ist zugleich das Mahnmal einer unfähigen Regierung – fürwahr eine Repräsentationsfläche des Landes Baden-Württemberg.

Austrieb am Stammstück des Blauglockenbaumes 383

 

Arbeitskreis Baumpaten
Jochen Schwarz
Dipl.-Ing. der Landespflege